Dancer with Cancer
Der Performancekünstler Hendrik Quast wendet die Tabuisierung
von Krankheit in Leistungsgesellschaften ins Groteske, um
gängige Krankheits-Narrative zu untergraben. Dazu entwickelt er
auf der Basis von Interviews und Pantomime-Workshops mit
Krebskranken ein Alter Ego. Jenseits dramatischer oder dramatisierender
Erzählungen über das Überleben von Krebskrankheiten
entstehen in seiner Performance und auf dem Instagram-Account
»dancerwithcancer« neue Erzählformen, die die Grenze von
Krankheit und Gesundheit mobilisieren.
Konzept und Performance: Hendrik Quast
Kostüm: Christina Neuss
Pantomimecoaching: Wayne Götz
Künstlerische Mitarbeit: Lisa Gehring
Zwei Performances
Freitag, 24. Juli und Samstag, 25. Juli, jeweils 15:00 Uhr
Diese Veranstaltungen sind leider schon ausverkauft.
Ort
Volkshochschule Stuttgart, Treffpunkt Rotebühlplatz, Gymnastiksaal
und auf Instagram @dancerwithcancer
Zwei Workshops „Pantomime mit Krebs“
04. Juli 2020, 17:00 Uhr
11. Juli 2020, 19:00 Uhr
Ort
Volkshochschule Stuttgart,
Treffpunkt Rotebühlplatz, Gymnastiksaal
Anmeldung und Informationen Workshops
christina.maeckelburg@mdjstuttgart.de
Die Teilnahme an den Workshops ist kostenlos.
Mehr Informationen
The pharmaceutical companies lie. The doctors lie. The sick lie.
The healthy lie. The researchers lie. The Internet lies.
Anne Boyer, The Undying. A Meditation on Modern Illness, 2019
Jenseits dramatischer oder dramatisierender Erzählungen über das Überleben von Krebskrankheiten entwickelt Hendrik Quast in „Dancer with Cancer“ pantomisch neue Erzählformen von Krankheit. Seine Performance beschäftigt sich damit, wie Pantomime gemeinhin als Bewegungstechnik gilt, die nur virtuosen und gesunden Körpern vorbehalten ist und in der Tradition ökonomischer Bewegungsmuster steht. Als Illusionstechnik versucht sie körperliche Grenzen zu überwinden und simuliert eine gesunde Körperwelt
Mit seinem Alter Ego wendet der Performancemacher den beherrschbaren Körper der Pantomime in der Performance in eine neue, unkontrollierte und grotesk-komische Form. Dabei baut er seine Performance auf bekannten Erfahrungsdramaturgien von Sportkursen und Tutorials auf, um sie als eigene Erzählform – über die Grenzen von Krankheit und Gesundheit hinweg – fruchtbar zu machen. In seinem performativen Protokoll der „Krebssprache“ höhlt er gängige Krankheits-Narrative nicht nur aus, sondern legt auch diskriminierende Sprachmechanismen gegenüber krebskranken Menschen offen. Im Wechselspiel von analogem und digitalem Raum wird so die Betroffenheitskultur von Krebskrankheit zu einem grotesken Krebskult um sein Alter Ego überhöht.
Der Performance ging ein lokaler Rechercheprozess voraus, bei dem Interviews mit Stuttgarter Krebskranken und Pantomieworkshops zum Ausgangspunkt wurden. Dabei beobachtete er: Die Welt, in die krebskranke Menschen nach ihrer Diagnose eintreten, scheint wie im Märchen von den Gegensätzen gut und böse geprägt. Angesichts gesunder Angehöriger und routinierter Mediziner*innen werden nicht nur die Krankheit selbst, sondern auch Alltag und Beziehungen mit der Krankheit im scharfen Gegensatz von gutartig und bösartig erfahrbar. Konkret zu fassen wird die märchenhafte Erzählung von Gut gegen Böse auf Cancer-Merchandising-Produkten wie T-Shirts oder Tassen, aber auch in Memes von Krebs-Communities auf Instagram und Facebook. In der Performance „Dancer with Cancer“ werden solche Texte aufgegriffen und diese Versuche, Krankheit und Tod in der modernen Mediengesellschaft zur Sprache zu bringen, befragt.
Um der Problemlage von Krankheit und Sprache auf den Grund zu gehen, erweiterte Quast das Stuttgarter Bewegungsangebot für Krebskranke. Dafür initiierte er unter Anleitung des Improvisationsschauspielers und Physical Theatre Studenten Wayne Götz die Kurse „Pantomime mit Krebs“ an der VHS Stuttgart, um sich einer alternativen Sprache für Krebskrankheiten anzunähern: Wenn verbale Sprache zum Ausdruck von Krankheit analog und digital dieselben Erzählungen und Bildsprachen von Gut und Böse, von Sieg und Niederlage bemühen, kann eine wortlose Ausdrucksform wie die Pantomime dann eine neue Form des (wortlosen) Sprechens ermöglichen? Welche Möglichkeiten bietet der Humor, der in der Pantomime liegt, um mit der Tabuisierung von Krankheit in Leistungsgesellschaften zu brechen?
Eine Koproduktion von Hendrik Quast und Festival „Die Irritierte Stadt“.
Mit Unterstützung durch die Senatskanzlei für Kultur und Europa Berlin.
Hendrik Quast
Hendrik Quast wurde 1985 in Celle geboren. Er studierte am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen. Seit 2009 arbeitet er als Performancemacher sowohl als Solokünstler als auch im Performance-Duo Quast & Knoblich, in Kontexten der darstellenden und der bildenden Künste sowie als Hörspielmacher für den WDR. Seine Arbeiten wurden mit freien Produktionshäusern wie Sophiensæle Berlin, Mousonturm Frankfurt, Gessnerallee Zürich, FFT Düsseldorf sowie Kampnagel Hamburg produziert und u.a. zum Impulse-Festival eingeladen. Er erhielt Arbeitsstipendien und Förderungen von der Kulturstiftung des Bundes, der Film und Medien Stiftung NRW, dem Berliner Senat, dem Hauptstadtkulturfonds sowie dem Goethe-Institut. Mit einem prozessualen Kunstbegriff widmet er sich alltäglichen Praxen und handwerklichen Kulturtechniken wie Tierpräparation, Trauerfloristik oder Nageldesign. Darüber hinaus liegt in seinen Soloarbeiten das Interesse in der Aneignung von darstellerischen Techniken an der Grenze zur Unterhaltungskultur wie Pantomime oder Musicalgesang. In aufwändigen Recherchen werden die Sprechweisen dieser Felder genau protokolliert und ihre Dingwelten visuell dokumentiert. Bei der Übersetzung dieser Recherchen auf die Bühne entstehen grotesk-komische Welten. Quast erscheint darin als überhöhtes Alter Ego, das eigenen Sprachfolien, Logiken und Aktionsnotwendigkeiten folgt. Das Publikum wird durch diese subversive Komik herausgefordert, sich mit Themen wie Natur und Kunst, dem Verhältnis von Kunst und Handwerk sowie sozialer Herkunft und (prekären) Arbeitsformen zu beschäftigen.
Bisherige Arbeiten von Hendrik Quast finden sich hier.